Christian Wirmer: „Lenz“ in der Psychiatrie

„Die Gefühlsader ist in fast allen Menschen gleich, nur ist die Hülle mehr oder weniger dicht, durch die sie brechen muss. Man muss nur Aug und Ohren dafür haben.“
Lenz in Lenz    

20 Tage dauerte der Versuch des evangelischen Pfarres Oberlin im Januar des Jahres 1778 dem psychisch erkrankten Dichter Jakob Michael Reinhod Lenz zu helfen; dann sah er sich gezwungen, aufzugeben. Georg Büchner bekam Oberlins Tagebuchnotizen dieser Zeit in die Hände: Unter seiner Feder entstand daraus eine der bedeutendsten Erzählungen deutscher Dichtkunst. Mit 22 Jahren gelingen dem jungen Büchner Formulierungen, mit denen er spürbar Mauern einreißt, die Gesunde damals wie heute gegen den Wahnsinn errichten.

Büchners empathische Anteilnahme, aber auch sein kalt beobachtender Blick und sein messerscharfes Denken werfen ein kritisches Licht auf den heutigen psychiatrischen Alltag mit seinen Pauschalisierungszwängen in Diagnostik und Behandlung.